Waseem Hariri (24) schließt die Augen, streicht mit dem Bogen über die Saiten der Geige. Eine arabische Melodie erklingt, ein Lied aus alter Zeit, als Einsamkeit, Not und Flucht für den jungen Syrer noch fern waren: Wie tröstlich ist doch die Musik.
Programm kurzerhand erweitert
„Gib mir eine Flöte und sing“, so übersetzt Frank Brogl, zweiter Vorsitzender des Männergesangvereins (MGV) „Liederkranz“ Rüsselsheim/Haßloch den Text, mit dem die kleine Melodie in der arabischen Welt von Marokko über Ägypten bis Syrien und Israel untrennbar verknüpft ist. In der Kirche der Pfarrei St. Christophorus hatte der MGV während seines Konzerts am Sonntag das Programm erweitert, um dem Syrer Waseem Hariri Gelegenheit für einen ersten Auftritt zu geben.
„Wohl noch nie in der langen Geschichte unseres Gesangsvereins hat es diese Konstellation mit arabischen Klängen gegeben. Wir freuen uns, dass Waseem heute Stücke seiner Heimat vortragen kann“, sagte Frank Brogl unter Applaus der zahlreichen Zuhörer.
Erst vor 14 Tagen hatte das Projekt, das stimmgewaltiges Gotteslob des ehrwürdigen Chors mit Geigenklängen arabischer Couleur verknüpfte, dank Brogl Gestalt angenommen. „In der Kürze der Zeit war es unmöglich, dass Waseem Hariri auf seiner Geige Brahms, Bruckner oder Schubert einstudiert hätte, um das gesamte Konzert zu begleiten. Doch parallel zu unserem Repertoire freuen wir uns, ihm Raum bieten zu können“, erklärte Frank Brogl abseits der Chorraumbühne.
Während also Chorliteratur sowie solistische Darbietung (Alexander Atzbach), begleitet von Orgelklang (Albrecht Schmidt), erschallte und die Herrlichkeit Gottes sowie die Schönheit seiner Welt gepriesen wurden, war es trotz allem der junge syrische Geiger, der im Zentrum stand. Alle Blicke richteten sich auf ihn, der bescheiden in einer vorderen Kirchenbank Platz genommen hatte und, begleitet von Flüchtlingshelferin Loretta Kraus sowie Vertretern des Hessischen Rundfunks, auf seinen Auftritt wartete. Ihn kribbelte es in den Fingern, den Bogen anzusetzen, und auch das Publikum erwartete seine Musik gespannt.
Zuhörer müssen Geduld haben
Doch es hieß, sich in Geduld zu üben, bevor seine Musik ihren Klang verbreiten konnte. Gut eine halbe Stunde war vergangen, da trat Waseem Hariri vors Publikum, ließ eine zarte Melodie mit filigranen, orientalischen Akzenten hören, die, kaum dass sie zu Herzen ging, auch schon verklungen war.
Es folgten weitere Intermezzi des Geigers, und der riesige Applaus galt auch dem sozialen Engagement dahinter: Loretta Kraus nämlich, die organisatorische Leiterin der Flüchtlingshelfer in Flörsheim am Main, wo knapp 80 Flüchtlinge in einer Unterkunft beherbergt werden, wurde auf Waseem Hariris Sehnsucht nach Musik aufmerksam. „Er ist seit sechs Wochen bei uns, und ich erfuhr, dass er seine Geige, ein Familienerbstück, bei seiner Flucht für die Bezahlung hergeben musste“, berichtete die junge Frau.
Eigentlich sei er studierter Wirtschaftswissenschaftler, doch er habe die Musik in seiner Heimat professionell betrieben. Dass der noch schüchterne Klang seiner Geige, die ihm dank eines anonymen Spenders zukam, nun in der Christophoruskirche an Herz und Himmel rührte, stand außer Frage.
Loretta Kraus: „Ich hörte von der Hilfsaktion des Hessischen Rundfunks unter dem Titel „People like me – Gemeinsam für Flüchtlinge“. Es wurde dort von Waseem Hariris Musikalität berichtet, und so fand sich der Spender einer Violine. Der Rüsselsheimer Liederkranz bot dann diese Auftrittsmöglichkeit. Die Spenden, um die statt Eintrittsgeld gebeten wurde, kommen wiederum der Flüchtlingshilfe zugute. Waseem Hariri lächelte und sagte: „Thank you.“
“Rüsslesheimer Echo 13.10.2015″