RÜSSELSHEIM – Tagesaktuelle und politische Geschehnisse erfordern manchmal ein großes Maß an Einsatzbereitschaft und Flexibilität. Diese Eigenschaften stellte der MGV Liederkranz Rüsselsheim unter Beweis, als er kurz entschlossen sein herbstliches Kirchenkonzert unter die Willkommenskultur stellte. Damit setzt er ein Zeichen für Weltoffenheit und Hilfsbereitschaft. Anlass, so erzählte der zweite Vorsitzende Frank Brogl, war das Schicksal des 23-jährigen Syrers Waseem Hariri, der ohne seine Geige, ein altes Familienerbstück, das er für die Flucht verkaufen musste, in unserer Region gestrandet war.
Die Initiative „People like me“ des Hessischen Rundfunks zog ihre Kreise bis zur Flüchtlingshilfe Flörsheim und der dortigen Leiterin Lauretta Kaus. Es konnte eine Geige für Waseem Hariri durch eine anonyme Spende gefunden werden. Was ist ein Künstler ohne ein Publikum? Man entschloss sich kurzerhand im Vorstand des MGV, Waseem Hariri im Kirchenkonzert auftreten zu lassen. Das Besondere ist, dass er seine neue Geige erst wenige Tage besitzt und auch mit der westeuropäischen Art und Weise des Geigenspiels noch nicht vertraut ist. So kam es, dass er die zwei kurzen arabischen Lieder „Gib mir die Flöte und sing“ und „Saray“ der libanesischen Sängerin Fairuz sehr musikalisch und wirkungsvoll vortrug.
Das Kirchenkonzert wurde von den beiden Chören des MGV Liederkranz, dem Männerchor und CantaRona, stimmungsvoll gestaltet. Wie immer äußerst versiert und kenntnisreich begleitete Albrecht Schmidt beide Chöre wohlklingend an der Orgel und dem Digitalpiano. Der Männerchor klang nach einigen Anlaufschwierigkeiten in gewohnter Qualität. Ronald Pelger versteht es, aus seinen Männern das Beste herauszuholen. Engagiert führt er die Stimmen. Besonders schön ist seine ausgefeilte Pianokultur und der satte „Männersound“, der niemals ins Brüllen verfällt, sondern stets kontrolliert sich dem schönen Klang unterordnet. So gelangen Anton Bruckners „Benedictus“ und Regina Coeli von Antonio Lotti besonders gut. Ebenso berührend Rudolf Deschs „Abendfrieden“, der quasi in jedem Konzert erklingen muss. Kontrastreich dagegen der frische und jugendliche Klang von CantaRona unter Bianca Heintze. Da wurde das Stück „Nette Begegnung“ zum frech theatralischen Swingstück und Leo Hasslers „Ich brinn und bin entzundt“ geriet zum polyphonen Feuerwerk. Eine tolle Aussprache und ungezähmter Spaß am Klang zeichnen diesen Chor in der Rüsselsheimer Chorlandschaft aus. Super, wie sie swingend und schnipsend bei „Good night, sweet heart“ die Bühne verließen. Am Ende des Konzertes sangen beide Chöre vereint. Hierzu wählte man Brahms „Sommerwinde“, in welchem Waseem Hariri sich ein klangvolles Solo draufgeschafft hatte und „Klänge der Freude“ aus „Pomp and circumstances“. Frank Brogl verwies das wild applaudierende Publikum auf das nächste Konzert der Chöre des MGV am 22. April 2016. Mit begeistertem Applaus endete dieses Konzert, und wie heißt es so schön: Man muss sein Publikum stets hungrig zurücklassen!
„Mainspitze 13.10.2015“